Irgendwann kommt man in ein Alter, in dem es nicht mehr cool ist, wenn man älter eingeschätzt wird, als man letztendlich wirklich ist…
Für die Schützengesellschaft Steinhorst hingegen ist es geradezu eine Ehre, „älter“ zu sein, als bisher angenommen. Auf der Suche nach historischen Dokumenten im Hinblick auf die Schützentradition wurde man im Gifhorner Archiv fündig – mit einem sensationellen Ergebnis: Die Tradition des Scheibenschießens in Steinhorst scheine offenbar älter zu sein, als bislang angenommen. Ein Fund, der uns in das frühe 18. Jahrhundert zurückführt und belegt, dass das Scheibenschießen damals bereits fest in der Region verankert gewesen sein muss.
Ein entscheidendes Zeugnis hierfür sei das Testament des Gifhorner Bürgermeisters Wilhelm Meyer, der im Jahr 1708 verstarb. Meyer, der seit 1695 im Amt war, habe kurz vor seinem Tod am 16. Dezember 1707 ein Testament verfasst, in dem er der Stadt Gifhorn einen besonderen Königspokal hinterließ. Dieser „Silberne vergüldete Pocal in Form einer Weintraube“ sollte, wie es in seinem Testament heiße, „bey dem Exercitio des Scheibenschießens für den Schützen König zum Willkommen zu gebrauchen“ [sic] sein. 1
Die „Churfürstlich Braunschweig-Lüneburgische Regierung zu Hannover“ grätschte jedoch dazwischen. Im Jahr 1708 sei das Scheibenschießen sowie das sogenannte Ausschießen des Pfingstbieres in Gifhorn und Umgebung verboten worden. Begründet worden sei dies damit, dass diese Schießveranstaltungen „verschiedentlich im Lande das Scheibenschießen zum Gesöff und allerhand liederlichen Händeln Anlaß gegeben“ [sic] hätten. 2
Eine vorliegende Verordnung aus dem Jahr 1710 bekräftigte dieses Verbot und schrieb ausdrücklich vor, dass „das Scheiben-Schießen, wo dasselbe etwa hergebracht und bisher exerciret worden, als auch die Auflegung des Pfingst-Bieres, welches auch schon vorhin in dem Fürstenthumb Lüneburg verboten, Hinführo gäntzlich eingestellet und abgeschaffet werden“ [sic] solle.3

In verständlich bedeutet das soviel wie: Scheibenschießen und die Tradition, zu Pfingsten Bier als Preis („Pfingstbier“) auszuschießen, sollten überall dort, wo sie bislang durchgeführt wurden, vollständig abgeschafft werden. Dieses Verbot galt für das gesamte Fürstentum Lüneburg und war eine Reaktion auf die Unordnung und die Ausschweifungen, die diese Veranstaltungen angeblich mit sich brachten.
Der amtierende Schützenkönig von 1707, ein Bürger namens Lewin Filter, habe den Pokal bereits nicht mehr in den Händen halten dürfen. Sein Schützenkönigsjahr, das traditionell von Pfingsten bis Pfingsten dauerte, sei direkt in die Zeit des Verbots gefallen. Der Pokal, der eigentlich das Symbol seiner Regentschaft hätte sein sollen, sei stattdessen unter Verschluss gehalten worden – und zwar im Rathaus, wo der Magistrat ihn sorgsam aufbewahrt habe…5
Und nun verstaubte der gestiftete Pokal im Gifhorner Rathaus, bis er jemandem als Relikt aus längst vergangenen Zeiten wieder in die Hände fiel? Wie es weiterging mit dem Scheibenschießen zu Pfingsten wird demnächst hier zu lesen sein.
Zur Einordnung in das Weltgeschehen: Die späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts waren geprägt von Umbrüchen und Neuerungen. Ludwig XIV. regierte als „Sonnenkönig“ Frankreich und setzte mit seinem Hof in Versailles ein Zeichen für Pracht und Macht. 6 Mit der Krönung Friedrichs I. 1701 wurde Preußen zum Königreich erhoben, was den Aufstieg Preußens als europäische Großmacht einleitete. 7
Diese Zeit markiert auch den Beginn der Aufklärung, die Vernunft und Wissenschaft ins Zentrum rückte und traditionelle Autoritäten zunehmend infrage stellte. Persönlichkeiten wie Isaac Newton (1643-1727, Entwickelte die Gravitationstheorie und Infinitesimalrechnung) 8, Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716, Miterfinder der Infinitesimalrechnung, bedeutender Philosoph) 9 und Johann Sebastian Bach (1685-1750, Barockkomponist) 10 lebten und wirkten zu dieser Zeit.
Quellen:
¹ vgl. Weinhold, Günter (1989): Eintracht und Bürgersinn – Die Geschichte des Gifhorner Schützenwesens, Gifhorn: Selbstdruck, S. 20. [zitiert das Testament von Wilhelm Meyer]
2 Primärquelle:
Churfürstlich Braunschweig-Lüneburgische Regierung (1710): Verordnung vom 7. Juli 1710. Archivkopie vorliegend.
Sekundärquelle (sinngemäße Wiedergabe oder Unterstützung durch Weinhold):
Vgl. Weinhold, Günter (1989): Eintracht und Bürgersinn – Die Geschichte des Gifhorner Schützenwesens, Gifhorn: Selbstdruck, S. 20.
3 ebd.
4 vgl. Weinhold, Günter (1989): Eintracht und Bürgersinn – Die Geschichte des Gifhorner Schützenwesens., Gifhorn: Verlag Selbstdruck. Übersetzung Archiv Gifhorn S.21.
5 vgl. Weinhold, Günter (1989): Eintracht und Bürgersinn – Die Geschichte des Gifhorner Schützenwesens., Gifhorn: Verlag Selbstdruck. Übersetzung Archiv Gifhorn S.20.
6 vgl. Nickels, Lothar (2011): Ludwig XIV. – der „Sonnenkönig“. Planet Wissen. Quelle: SWR. URL: Persönlichkeiten: Ludwig XIV. – Persönlichkeiten – Geschichte – Planet Wissen [Januar 2025]
7 vgl. Kaufmann, Sabine (2005): Preußen. Planet Wissen. Quelle: SWR. URL: Deutsche Geschichte: Preußen – Deutsche Geschichte – Geschichte – Planet Wissen [Januar 2025]
8 vgl. Plasse, Wiebke (o.D.): Isaac Newton. GEOlino. URL: Isaac Newton – Steckbrief des Physikers – [GEOLINO] [Januar 2025]
9 vgl. Look, Brandon C. (2013): Gottfried Wilhelm Leibniz. URL: Gottfried Wilhelm Leibniz (Stanford Encyclopedia of Philosophy) [Januar 2025]
10 vgl. Kaufmann, Sabine (o.D.): Johann Sebastian Bach. Planet Wissen. Quelle: SWR. URL: Musik: Johann Sebastian Bach – Musik – Kultur – Planet Wissen [Januar 2025]
Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und mein Möglichstes getan, um Quellen und Daten korrekt anzugeben. Plagiate waren und sind definitiv nicht meine Absicht. Alle Informationen wurden aus öffentlich zugänglichen Quellen entnommen und sorgfältig geprüft. Sollte dennoch unbeabsichtigt ein Fehler oder eine Unstimmigkeit vorliegen, bitte ich um Verständnis und entsprechende Mitteilung.
Die Beiträge dieser Reihe werden gesammelt unter dem Schlagwort „Scheibenschießen 1707“ zu finden sein.