In memoriam
Ernst Güß
* 2. 10. 1918 + 12. 1. 1997
in Schlatt unter Krähen in Steinhorst
Da ich gebeten wurde, für den Steinhorster Blog etwas über meinen Vater zu schreiben,
nehme ich nun seinen 20. Todestag zum Anlass, dies zu tun.
Wie wird jemand, der im schönen Hegau unweit vom Bodensee geboren ist, zum Steinhorster?
Nach seinem Abitur am Realgymnasium Singen, nach Arbeitsdienst, Ausbildung zum Flieger und Einsätzen an verschiedenen Frontabschnitten des 2. Weltkriegs kommt der Oberleutnant und Staffelkapitän Ernst Güß im Spätsommer 1944 mit weiteren Mitgliedern des sogenannten Kampfgeschwaders 66 nach Steinhorst und findet dort Einquartierung auf dem Hof von Heinrich und Emma Kaiser, deren Sohn Heinrich bereits im Jahre 1942 im Kaukasus gefallen ist.
Hier verliebt er sich in deren Tocher Emmi.
Unmittelbar am Ende des 2. Weltkriegs erhält der Siebenundzwanzigjährige noch den Befehl, von Norwegen aus nach Kurland zu fliegen und dort versprengte Mitglieder der deutschen Luftwaffe vor der Gefangennahme durch die Russen zu retten. Unter schwierigsten Bedingungen gelingt ihm dieser Flug sogar zweimal und er packt den Bauch seiner JU 88 jeweils voll mit dankbaren Soldaten. Bei seiner Rückkehr wird er dann allerdings von den Amerikanern in Gefangenschaft genommen und später, da seine Heimat in der französischen Zone liegt, an die Franzosen übergeben. Hier erwarten ihn nun in verschiedenen Gefangenenlagern Frankreichs zwei bittere Jahre voller Entbehrungen, aber auch von Erfahrungen, die ihn für sein weiteres Leben geprägt und starkgemacht haben.
Im Sommer 1947 wird er aus der Gefangenschaft entlassen, kehrt bald darauf zurück nach Steinhorst, wo er sich an Weihnachten desselben Jahres mit Emmi Kaiser verlobt. Die Hochzeit des Paares findet im Mai 1948 statt.
Was bringt er mit?
Eine gehörige Portion Wissen, Sachverstand, Verantwortungsbewusstsein, Lebensfreude und vor allem die Bereitschaft anzupacken, sei es auf dem nunmehr zusammen mit seiner Ehefrau geführten Hof, sei es überall da, wo sein Rat und seine konkrete Hilfe gebraucht werden. Diese Art von Gemeinsinn zeichnet ihn bis an sein Lebensende aus.
Im Dezember 1977 erhält Ernst Güß das Bundesverdienstkreuz aus der Hand des Landrats Heinrich Warnecke, unter Anwesenheit zahlreicher Weggefährten aus den verschiedenen Bereichen seines bürgerschaftlichen Engagements.
Die Verleihungsurkunde ist vom damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel unterschrieben.
Welche Verdienste zu dieser besonderen Anerkennung geführt haben, soll hier nur knapp skizziert werden. Angestoßen wurde die Ehrung durch das Landwirtschaftsgericht Lüneburg, in dem er zu dem Zeitpunkt bereits 20 Jahre lang als ehrenamtlicher Landwirtschaftsrichter mitgewirkt hatte. Hinzu kamen Güß’ Verdienste im Aufsichtsrat bzw. Vorstand von Volksbank, Genossenschaft, Landvolk, Kartoffelflockenfabrik, Kirchengemeinde und Kirchenkreis sowie in der Kommunalpolitik:
Schon seit November 1948 gehört Ernst Güß dem Rat der Gemeinde Steinhorst an, ist ab Oktober1972 stellvertretender Bürgermeister und ab 1976 Bürgermeister, ab 1974 auch im Rat der Samtgemeinde verantwortlich tätig.
Natürlich endet sein ehrenamtliches Engagement nicht mit der Verleihung des Verdienstkreuzes. Neue Herausforderungen stellen sich. Es gilt, zusätzliche Absatzmöglichkeiten für die hiesige Landwirtschaft und gleichzeitig zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, darüber hinaus Kultur auf dem Lande zu fördern. Beides gelingt: Ernst Güß ist als Gründungs- und Vorstandsmitglied der Industriekartoffelerzeugergemeinschaft maßgeblich am Aufbau der Chipsfabrik in Hankensbüttel beteiligt, und in Steinhorst entsteht trotz erster Widerstände ein Schulmuseum samt Erich-Weniger-Haus und dem Konzertangebot Alte Schmiede.
Selbstverständlich gelingt all das nur zusammen mit anderen, die von eben solchem Weitblick und solcher Einsatzbereitschaft zeugen. Später wird er bisweilen als „Motor“ oder „Netzwerker“ bezeichnet, seine individuelle Leistung ist aber immer im Zusammenhang mit dem Engagement seiner Mitstreiter zu sehen.
In den letzten Jahren seines Lebens wird es etwas ruhiger um ihn, wenngleich sein Rat immer noch gefragt ist, nicht zuletzt in Sachen Kartoffel, was seine Mitwirkung in verschiedenen Fachgremien bis hin nach Brüssel beispielhaft belegt.
Heidrun Meyer-Roscher, geb. Güß
Tochter von Ernst Güß
Niedergeschrieben 2017